Lendl vs. Berlin

Matthew Herbert: The Music

Eigentlich sollte das Buch „The Noise“ heißen oder noch besser: „The Sound“. Herbert ist ein Hohepriester des Sound, für ihn ist es die erste und wichtigste Erfahrung im Leben der Menschen, ja sogar im Universum. Alles kann darauf zurückgeführt werden, alles lärmt und alle hören – und Matthew Herbert verarbeitet den Sound des gesamten Universums. Im Moment nimmt er gemeinsam mit einem Astrophysiker gerade alles auf, was außerhalb der uns bekannten Welt summt und brummt. Und er hat schon unzählige Sounds aufgenommen und als Grundlage für seine Soundcollagen verwendet – wie Schlafgeräusche (A Nude) oder Geräusche aus dem Leben und Sterben eines Schweins (One Pig). Als er seinen ersten Sequenzer mit 19 oder 20 bekam, fühlte er sich wie eine Mischung aus Stephen Hawking, Jesus und Jimi Hendrix. Was er damit alles machen konnte!

Aber heute präsentiert er im Literaturhaus Berlin das Werk, das ihn drei Jahre seines Lebens beschäftigt und keinen Penny Geld eingebracht hat: das Buch „The Music – A Novel Through Sound“. Der Soundtüftler hat alle Geräusche in einem Buch versammelt, an die er sich erinnern oder die er sich vorstellen konnte, während er vor seinem Rechner saß, um zur Abwechslung mal keine Klanglandschaften aufzunehmen, sondern Wörter aufzuschreiben. Ob es sich gelohnt hat? Na ja, wenn er selbst es vorliest und seine Gedanken dazu äußert, auf jeden Fall. Um es allein auf dem Sofa zu lesen – eher nicht, würde ich sagen. Obwohl es bestimmt Menschen gibt, deren Phantasie dieses Buch anregt und die von selbst nicht auf die Idee kommen würden, sich den Moment der Stille vorzustellen, der entsteht, wenn der Lüfter des Computers zur Ruhe kommt und der Bildschirm noch nicht schwarz ist.

Herbert ist ein sehr sympathischer Zeitgenosse, der sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob sein Wirken als DJ der Zukunft unseres Planeten zu- oder abträglich ist. Und sein Auftritt mit der Brexit Big Band im Haus der Kulturen der Welt im Sommer hat uns bereits vor Augen geführt, dass er nicht nur einer der best verdienenden Plattenaufleger ist, der um die Welt jettet, um die Red-Bull-Trinker und Kiffer dieser Welt zu unterhalten. Sondern auch jemand, der darüber nachdenkt, wie es weiter gehen soll mit uns allen – und der deshalb 9 Stunden mit dem Zug von Zürich nach Berlin fährt statt mit Easy Jet viel billiger und in einer Stunde von Stadt zu Stadt zu fliegen. Respekt!

Die (seit Jahresbeginn) neuen Leiterinnen des Literaturhauses waren stolz wie Bolle, dass Herbert zuerst bei ihnen seine Aufwartung machte und erst morgen Mittag im Berghain auflegen würde, wie sie betonten. Wenn ihnen daran gelegen ist, dem Publikum mehr Musik zu präsentieren (und den Sound auch zu Gehör zu bringen), sollten sie allerdings schnellstens neue Boxen anschaffen. Es ist doch einigermaßen frustrierend, wenn nach einer halben Stunde Kabel-Hin-und-her-Gestecke noch immer keine Lautstärke erreicht wird, die dem Tanzen dienlich wäre – aber Literaturfreundinnen und – freunde sind anscheinend geduldig. Musikfreunde wie ich nicht, sorry!