„Die Berliner sind immer auf Konfrontation aus“

Erschienen in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ (Wochenendbeilage der Berliner Morgenpost) am Sonntag, 25. Juli 2010

Interview: JAN DRAEGER

Walter Lendl muss ein schrecklich genervter Mensch sein. Er ist Österreicher und lebt seit neun Jahren in Berlin. Und es gibt vieles, was ihm hier nicht passt: Die Berliner Schnauze, die Currywurst, die Autofahrer. Das Problem von Walter Lendl ist nur, dass ihm schon in seiner Heimat ziemlich viel auf die Nerven gegangen ist. Deshalb hat er vor zwei Jahren, quasi aus dem Berliner Exil heraus, ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Darum nerven Österreicher“. Jetzt rechnet Lendl mit den Berlinern ab. Gerade kam sein Buch „Achtung, freilaufende Berliner!“ heraus. Die Frage ist, ob das alles nur eine geschickte Verkaufsmasche ist oder ob an seiner Kritik was Wahres dran ist.

Berliner Illustrirte Zeitung: Was finden Sie nun so schrecklich an Berlin, Herr Lendl?

Walter Lendl: Ach, das fängt doch mit dem Autofahren an. Der Verkehr hier ist ein Konglomerat aus Alt-Berlinern, die überhaupt nicht fahren können, und Neu-Berlinern mit schweren Kisten, die wie die Münchener vollkommen rücksichtslos sind.

Berliner Illustrirte Zeitung: Wie können Sie denn da die Ruhe bewahren?

Walter Lendl: Kann ich gar nicht. Mittlerweile gerate ich auch in Wut und schreie: Hau ab, du Wichser! Mein Frau schaut mich dann besorgt an und sagt: Denk an das Kind.

Berliner Illustrirte Zeitung: Dann haben Sie ja Berliner Eigenarten angenommen?

Walter Lendl: Zwangsläufig. Eigentlich reagiert der Österreicher beleidigt, wenn man ihm zu forsch kommt. Wird er angesprungen, ist es ein Angriff auf sein Leben.

Berliner Illustrirte Zeitung: Und die Berliner sind Ihnen zu forsch?

Walter Lendl: Wenn man hier in eine Bäckerei kommt, heißt es sofort: „Wat wolln‘ Se?“ Der Österreicher schaut erst mal, was es so gibt, überlegt und sagt nach einiger Zeit: „Vielleicht eine Semmel?“ Das kennt der Berliner nicht, deshalb heißt es sofort: „Ham wer nich!“ Da geht der Österreicher gleich wieder rückwärts raus.

Berliner Illustrirte Zeitung: Ihr Sohn ist hier geboren und wächst berlinerisch auf. Wenn er Stulle sagt . . .

Walter Lendl: . . . das sagt er jetzt nicht mehr. Wir haben vorher in Mitte gewohnt und dort ging er in einen Kindergarten, in dem berlinert wurde. Jetzt wohnen wir in Charlottenburg. Dort ist es gemischter und bürgerlicher. Was mich wirklich erschüttert hatte, war, als er statt Liebe Lübe schrieb. Ich habe ihm dann gesagt, dass das berlinerisch ist und im Rest Deutschlands nicht verstanden wird.

Berliner Illustrirte Zeitung: Wie finden Sie die Currywurst?

Walter Lendl: So eine Wurst in einer Soße ist einfach unansehnlich. Und sie schmeckt nicht besonders. Ist halt Fastfood. Man wird schnell satt, aber in einer Stunde hat man wieder Hunger.

Berliner Illustrirte Zeitung: Fehlt es an Berliner Küchenkultur?

Walter Lendl: Es fehlt an jeglicher Kultur in Berlin. Das, was es an Kultur in Berlin gibt, wird eigentlich produziert für die Repräsentation und für die Touristen. Es ist nichts Gewachsenes. Alles aufgesetzt. Man versucht immer schneller zu sein, die neuesten Trends im Theater vorweg zu nehmen. So ein Stück von Frank Castorf ist doch wie Big Brother im Fernsehen. Dafür soll man ins Theater gehen?

Berliner Illustrirte Zeitung: Was sollte man ändern?

Walter Lendl: Das ist schwierig. Deutschland hat eine Hauptstadt, die man irgendwie braucht, aber eigentlich nicht will. Das ist der Unterschied zu anderen Ländern. Paris, Rom oder London, da konzentriert sich alles. In Deutschland gibt es viele andere Zentren. Die Münchener halten sich für den Nabel der Welt, in Frankfurt ist das Geld zu Hause, die Düsseldorfer sind sowieso davon überzeugt, dass sie die einzigen sind, die Reichtum schaffen. Es gibt so viele regionale Zentren in Deutschland und keine wirkliche Hauptstadt. Deshalb gibt es auch nicht den Willen, Geld für die Hauptstadt auszugeben. Gleichzeitig sagt man in der Hauptstadt: Uns egal. Wir machen nichts dafür, dass wir Geld verdienen. Wir lassen uns subventionieren. Das ist auch nicht so ganz weit hergeholt.

Berliner Illustrirte Zeitung: Wie finden Sie das Motto „be berlin“?

Walter Lendl: Bescheuert. Das würde ich abschaffen. Für mich hat es nur die Bedeutung: Sei wie du bist. Sei ein Zootier und lass dich von Touristen anstarren. Man muss doch den Leuten mal klarmachen, dass sie was dazu beitragen können, dass die Stadt aus sich wachsen kann. Es geht doch nicht nur darum, nur hier zu sein und toll zu sein. Das drückt das Motto „be berlin“ aus. Ich würde das Motto „Berlin kann mehr“ bevorzugen.

Berliner Illustrirte Zeitung: Und dazu vermissen Sie hier ab und zu ein freundliches Wort?

Walter Lendl: Das hört man nie. Man fühlt sich immer gleich in so einer Abwehrhaltung.

Berliner Illustrirte Zeitung: Ist das schmerzhaft?

Walter Lendl: Es ist anstrengend, und damit auch schmerzhaft. Es gibt auch andere Arten miteinander umzugehen. In Amerika zum Beispiel sagt jeder: „Hello. How are you?“ Das ist völlig banal, und man weiß, der meint es sowieso nicht so. Aber ich war mal vier Wochen in San Francisco und habe festgestellt, dass das unheimlich angenehm ist. Weil man sich einfach wohl fühlt. Den Berlinern ist es egal, wie es dem anderen geht, die sind immer auf Konfrontation aus. Man muss ständig kämpfen. Man muss sich durchsetzen.

Berliner Illustrirte Zeitung: Sie haben aber auch kein freundliches Wort für die Berliner übrig?

Walter Lendl: Doch. Wenn man zurückschlägt, sind sie auch offen dafür und nicht beleidigt. Ob sie allerdings, wenn mein Buch herauskommt, auch über sich lachen können – da bin ich gespannt.

Walter Lendl: „Achtung, freilaufende Berliner! Alles was Sie wissen müssen, wenn Sie sich in die Hauptstadt wagen“, Heyne Verlag, 272 Seiten, 7,95 Euro